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27. April 2024: Wollmatinger Ried

Wollmatinger Ried – Naturinsel im Siedlungsmeer
Sandra Lutz Hochreutener

Das wunderschöne Wetter letzten Samstag, 27. April 2024, machte es leicht, früh aufzustehen. Knapp vierzig naturbegeisterte Personen aus dem ganzen Kanton waren der Einladung des Vereins BirdLife Gais (vormals OV Gais) zu einer Exkursion gefolgt. Ziel war das Wollmatinger Ried bei Konstanz, einem der ältesten und bedeutendsten Naturschutzgebiete am Bodenseeufer.

Vor Ort angekommen teilten sich die Teilnehmenden in zwei Gruppen auf mit je einem Führer – freiwillige Mitarbeitende des NABU-Naturschutzzentrums, das seit 1979 für das 767 Hektaren grosse Gebiet verantwortlich ist. Aus Rücksicht auf die sensible Vegetation und deren Bewohner, ist es nur mit Führung möglich in den inneren Bereich des Wollmatinger Rieds – manchmal auch liebevoll "Wollried" genannt – zu gelangen. Früher eine riesige unbebaute Fläche sei es nun zu einer Naturinsel im Siedlungsmeer Konstanz und Umgebung geworden. Seit vielen Jahren ist es geschützt – keine einfache Situation bei der Lage gleich neben Kläranlage, Recycling Deponie und Industriequartier. Da brauche es viel Diplomatie und konstruktive Verhandlungsbereitschaft von beiden Seiten.

Kaum hintereinander auf einem schmalen Weglein unterwegs, liess die Vielfalt der Natur diese Gegebenheiten aber in den Hintergrund treten. Laut Beschreibungen sollte es in den ufernahen Riedflächen, Streuwiesen und Auenwäldern eine vielfältige faszinierende Tier- und Pflanzenwelt zu entdecken geben. Das war definitiv nicht zu viel versprochen.

Gleich zu Beginn der Rundtour lässt im dichten Gebüsch die Nachtigall ihren eindrücklichen Gesang erklingen und sich – was anscheinend sehr selten ist – auch gleich noch blicken. Mit ihrem kunst- und klangvollen Gesang lockt das Männchen Weibchen an, die mehrere Tage später vom Vogelzug aus den afrikanischen Winterquartieren zurückkehren. Gleich nebenan auf einer riesigen Föhre sitzt unbeweglich ein Baumfalke. Am Bach lassen sich ebenmässige Biberskulpturen entdecken, auf den Riedwiesen weiden Hochlandrinder. Sie helfen, natürliche Strukturen zu erhalten.

Etwas weiter vorne äsen Rehe neben einem Trupp Graugänse, die sich neben einem Weiher niedergelassen haben. Im Bach schwimmt eine Stockentenmutter mit ihren Jungen, die wohl kaum älter als zwei oder drei Tage sind. Ein Fitis meldet sich von der andern Seite. Sein Gesang ähnelt demjenigen des Buchfinks, klingt aber weicher und leicht schwermütig. Vom Aussehen her ist er eine Zwillingsart des Zilpzalp. Während letzterer bei uns sehr häufig vorkommt, ist der Fitis durch den Klimawandel aktuell bedroht und nicht mehr so häufig anzutreffen. 

In der Flachwasserzone tummeln sich u.a. Teichhuhn, Kolben- und Schnatterenten, Höckerschwäne Kormorane, Lachmöwen und Flussseeschwalben. Ein Blässhuhn sitzt auf seinem Nest und zeigt uns kurz seine schönen Eier. Auch das Schilfröhricht, das daran anschliesst, ist voller Leben: Der unscheinbar rötlichbraun gefärbte Rohrschwirl lässt sein charakteristisches insektenartiges Schwirren hören. Ein Teichrohrsänger klettert geschickt durchs Schilfpflanzengewirr und singt dazu aus voller Kehle.

Besonders interessant am Wollried sind aber die so genannten Streuwiesen. Sie verdanken ihre einmalige Artenvielfalt der traditionellen winterlichen Mahd und den regelmäßigen sommerlichen Überflutungen. In ein paar Wochen werden hier 22 verschiedene Orchideenarten und die blauen sibirischen Lilien blühen. Im Moment ist es botanisch gesehen noch eher karg, ein kleines Knabenkraut zeigt sich, an einem Ort blühen wunderschöne Mehlprimeln. Mit Vogelbeobachtungen werden wir aber verwöhnt: nebst vielen anderen zeigen sich Neuntöter, Schwarzkehlchen und Gartengrasmücke. Und über uns kreisen Rot- und Schwarzmilane. Es ist hier wahrlich ein Paradies, das man gerne wieder besuchen wird.